Ein Artikel von Dr. Johannes Hebenstreit, 5020 Salzburg

In den letzten Jahren haben Anlegerprozesse stark zugenommen. Zahlreiche Personen, die Anleihen, Aktien oder andere Wertpapiere erworben und auf diverse Zusicherungen zur voraussichtlichen Kursentwicklung vertraut haben, klagen Banken, Vertriebsfirmen oder Berater, weil sie Wertverluste nicht hinnehmen wollen. Da solche Verfahren langwierig und teuer sein können, ist es von Vorteil, wenn der Kläger eine Rechtsschutzversicherung hat, die den Prozess deckt.

Wenn grundsätzlich ein Rechtsschutzversicherungsvertrag besteht, stellt sich allerdings die Frage, wann im Falle des Erwerbs von wertlosen Wertpapieren der Schaden genau eingetreten ist, denn Versicherungsschutz besteht regelmäßig nur für während der Laufzeit des Versicherungsvertrages eintretende Ereignisse. Kürzlich musste sich der OGH mit dieser Frage auseinandersetzen[1]:

Der Kläger erwarb im Jahr 2008 bestimmte Anleihen im Wert von EUR 16.000.-. Jene Gesellschaften, welche die Anleihen ausgegeben hatten (sog. „Emittenten“), gingen im September 2009 in Konkurs. Der Kläger bezeichnete die Anleihen als „Betrugsprodukte“, d.h. er ging davon aus, dass diese Anleihen von Anfang an wertlos und in betrügerischer Absicht ausgegeben worden seien. Er wollte von seinem Versicherer die Rechtsschutzdeckung für einen Schadenersatzprozess. Der Versicherungsvertrag war allerdings erst 2009 abgeschlossen worden, so dass der Beginn des Versicherungsschutzes erst mit 01.02.2009 festgelegt war. Fraglich war demnach, ob der Versicherungsfall vor oder nach dem Vertragsbeginn eingetreten war.

Bei Schadenersatzansprüchen definieren die Versicherungsbedingungen „den Eintritt des dem Anspruch zugrundeliegenden Schadensereignisses als Versicherungsfall“[2]. Der Versicherungsfall ist also jenes Ereignis, das den Schadenersatzanspruch begründet hat.

Ausgehend von dieser Definition argumentierte der Kläger, dass der Schaden erst mit dem Konkurs jener Gesellschaften, welche die Wertpapiere ausgegeben hatten, eingetreten sei. Erst dann sei nämlich endgültig klar gewesen, dass man von den Emittenten nichts mehr bekommen werde. Der OGH folgte dem allerdings nicht: Bei Erwerb von einer vermeintlich wertlosen Anleihe tritt der reale Schaden schon mit dem Erwerb ein. Ob der Kläger zu diesem Zeitpunkt schon wusste oder wissen musste, dass die Anleihen wertlos sind oder sich ungünstig entwickeln werden, ist im gegebenen Zusammenhang nicht von Bedeutung. Dieser Aspekt kann zwar für den Schadenersatzanspruch relevant sein, nicht aber für die Frage der Versicherungsdeckung. Der Kläger müsste daher einen allfälligen Schadenersatzprozess wegen der Wertverluste ohne Rechtsschutzdeckung führen.

[1] OGH vom 29.03.2017, 7 Ob 36/17w
[2] Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2003), Art. 2 Z 1

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