Ein Artikel von Dr. Johannes Hebenstreit, 5020 Salzburg

Zu den Rechtsbegriffen, die einem im Versicherungswesen immer wieder begegnen, gehört die „Obliegenheitsverletzung“. Eine Obliegenheit wird oft – etwas unpräzise – als „Verpflichtung minderer Art“ bezeichnet: Jemand, der eine Obliegenheit einhalten muss, kann dazu nicht mit rechtlichen Schritten gezwungen werden. Die Missachtung der Obliegenheit hat aber rechtliche Nachteile für ihn. Es gibt also kein klagsweise durchsetzbares Recht auf Einhaltung einer auferlegten Obliegenheit. Die Nichteinhaltung der Obliegenheit führt aber zu Nachteilen dahingehend, dass eigene Rechte verloren gehen bzw. nicht mehr geltend gemacht werden können.

Ein wichtiger Anwendungsfall sind die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers nach dem VersVG bzw. den jeweiligen Allgemeinen Versicherungsbedingungen. Auch hier kann der Versicherer die Erfüllung der Obliegenheit nicht klagsweise durchsetzen. Vielmehr wird der Versicherer leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheit verletzt und ihm dabei ein Verschulden vorzuwerfen ist(1). Der rechtliche Nachteil aus der Obliegenheitsverletzung ist also, dass der Versicherungsnehmer kein Geld bekommt. Es verwundert deshalb nicht, dass solche Fälle besonders oft vor Gericht landen und sich regelmäßig auch das Höchstgericht mit Einzelfragen beschäftigen muss, wie etwa die folgenden Beispiele zeigen:

In der Einbruchsdiebstahlversicherung gibt es die Obliegenheit, die „Versicherungsräumlichkeiten zu versperren“. Vor kurzem musste der OGH klarstellen, dass sich diese Obliegenheit auch auf die Fenster bezieht und es grobe Fahrlässigkeit darstellt, wenn ein leicht erreichbares und zum Einsteigen in die Räumlichkeiten geeignetes Fenster in Kippstellung belassen wird(2).

In der Kfz-Kasko- sowie in der Kfz-Haftpflichtversicherung gehört zu den wichtigsten Obliegenheiten, bei der Aufklärung eines selbst verursachten Unfalles mitzuwirken, wenn nicht nur das eigene Fahrzeug beschädigt wurde. Man darf also die Unfallstelle nicht verlassen und muss die Polizei verständigen. In diesem Zusammenhang erläuterte der OGH vor einiger Zeit allerdings, dass es hier nicht bloß um eine Formalvorschrift geht, also nicht etwa automatisch die Nichtverständigung der Polizei zur Leistungsfreiheit führt. Vielmehr liegt nach dem Sinn der Regelung eine zur Leistungsfreiheit führende Obliegenheitsverletzung (nur) dann vor, wenn ein konkreter Verdacht dahingehend besteht, die Nichtverständigung der Polizei habe dazu gedient, die spätere Aufklärung zu verhindern, also quasi Beweismittel zu beseitigen(3).

Auch bei Leitungswasserversicherungen gibt es Auslegungsfragen zu Obliegenheiten, die der OGH klären muss: Ein Versicherungsnehmer hatte seine Wasserleitungsrohre nicht ganz der ÖNORM entsprechend in einer Tiefe von 1,20 Meter, sondern nur in einer Tiefe von 0,80 bis 1,00 Meter verlegt, und diese mehrfach isoliert. Diese Installation überdauerte unbeschadet 14 Jahre, danach kam es zu einem Frostschaden. Die Versicherung wandte eine Obliegenheitsverletzung ein und verweigerte die Leistung. Da im Versicherungsvertrag aber nicht ausdrücklich als Obliegenheit vereinbart war, dass die Rohre ÖNORM-konform zu verlegen sind, entschied der OGH zugunsten des Versicherungsnehmers(4).

  1. Gemäß § 6 Abs. 1 VersVG ist der Versicherer trotz Obliegenheitsverletzung zur Leistung verpflichtet, wenn die Verletzung als eine unverschuldete anzusehen ist. § 6 Abs. 3 VersVG verlangt in bestimmten Fällen sogar Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit.
  2. OGH vom 18.02.2013, 7 Ob 239/12s.
  3. OGH vom 28.11.2012, 7 Ob 109/12y.
  4. OGH vom 06.07.2011, 7 Ob 114/11g.

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