Ein Artikel von Dr. Johannes Hebenstreit, 5020 Salzburg

Gemäß § 62 VersVG ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, bei Eintritt des Versicherungsfalles nach Möglichkeit für die Abwendung und Minderung des Schadens zu sorgen und hat dabei, soweit ihm dies möglich ist, Weisungen des Versicherers einzuholen und zu befolgen. Diese sog. Schadensminderungs- bzw. Rettungspflicht des Versicherungsnehmers ist eine gesetzliche Obliegenheit, d.h. die Missachtung kann – je nach Verschuldensgrad – zur Leistungsfreiheit des Versicherers führen. In der Praxis ist die Schadensminderungs- und Rettungspflicht nicht selten ein Thema in Zusammenhang mit Autodiebstählen.

Die Schadensminderungs- bzw. Rettungspflicht gilt nach der Rechtsprechung zeitlich unbeschränkt, solange der Schaden gemindert oder abgewendet werden kann. Sie verlangt inhaltlich vom Versicherungsnehmer, die ihm in der jeweiligen Situation möglichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen. Der Maßstab dafür ist nach der Judikatur eine nicht versicherte Person. Der konkrete Umfang der Obliegenheit bestimmt sich also danach, wie sich der Versicherungsnehmer redlicherweise verhalten hätte, wenn er nicht versichert gewesen wäre. Dieser Grundsatz ist ein brauchbarer Anhaltspunkt für die Grenzen des Zumutbaren; zwei Beispiele aus der Judikatur sollen dies verdeutlichen:

Ein Versicherungsnehmer muss laut OGH nicht mit Kriminellen oder deren Mittelsmännern verhandeln, etwa um gestohlene Gegenstände wieder herbeizuschaffen: Die Rückholung eines in Polen von einem Händler zum Verkauf angebotenes, zuvor gestohlenes Fahrzeug ist keine zumutbare Maßnahme im Sinne des § 62 VersVG, denn auch eine unversicherte Person würde einen solchen Aufwand nicht betreiben(1).

Wohl kann nach einer aktuellen OGH-Entscheidung hingegen eine Obliegenheitsverletzung vorliegen, wenn von der Möglichkeit eines GPS-Ortungssystems kein Gebrauch gemacht wird(2): In einem gestohlenen Fahrzeug war ein spezielles Ortungssystem eingebaut; dessen Aktivierung hätte jedoch den Abschluss eines speziellen Vertrages mit dem Hersteller bedurft. Die Freischaltung wäre auch nach dem Diebstahl noch möglich gewesen, jedoch entschied sich der Versicherungsnehmer – offenbar infolge der damit verbundenen Kosten – dagegen. Der OGH führte aus, dass eine unversicherte Person die nachträgliche Freischaltung des Systems unzweifelhaft erwirkt hätte, um die Ortung des Fahrzeugs zumindest zu versuchen. Die Unterlassung dieser Maßnahme sei daher eine Obliegenheitsverletzung.

Jeder Versicherungsnehmer sollte sich daher bei Eintritt eines Versicherungsfalles immer auch die Frage stellen, wie sich an seiner Stelle eine Person verhalten würde, die keine entsprechende Versicherung hat. Das gilt im Besonderen auch bei Autodiebstählen.

  1. OGH vom 05.04.1995, 7 Ob 14/95.
  2. OGH vom 02.07.2015, 7 Ob 92/15b.

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