Ein Artikel von Dr. Johannes Hebenstreit, 5020 Salzburg

Die Frage der Kündbarkeit von Lebensversicherungsverträgen für die prämienbegünstigte Zukunftsvorsorge war in den letzten Jahren mehrfach Gegenstand von höchstgerichtlichen Entscheidungen. Es geht dabei im Wesentlichen um die Rechtsfrage, wie sich Bestimmungen des VersVG mit solchen des EStG verhalten: Während § 165 VersVG die Kündigung von Lebensversicherungen durch den Versicherungsnehmer erlaubt, definieren die §§ 108g bis 108i EStG als Voraussetzung für die steuerlichen Begünstigungen unter anderem, dass der Versicherungsnehmer mindestens zehn Jahre auf eine Rückzahlung der von ihm geleisteten Beiträge verzichtet. Wenn die zitierten Bestimmungen des EStG nur abgabenrechtlichen Charakter hätten, bliebe das Kündigungsrecht nach dem VersVG grundsätzlich erhalten; eine vorzeitige Kündigung hätte dann nur steuerrechtliche Nachteile (Prämienverlust, Nachbesteuerung). Wären die Bestimmungen des EStG hingegen dahingehend auszulegen, dass sie das im VersVG vorgesehene Kündigungsrecht an sich beschränken, so wäre eine vorzeitige Kündigung zivilrechtlich überhaupt ausgeschlossen.

Im Jahr 2011 wurde diese Frage erstmals an den OGH herangetragen(1). Das Höchstgericht entschied damals zugunsten der Versicherer: Die Bestimmungen des EStG sind die jüngeren und spezielleren Normen; sie gehen dementsprechend dem in § 165 VersVG vorgesehenen Kündigungsrecht vor. Eine Kündigung vor Ablauf der Zehnjahresfrist ist daher laut OGH kategorisch ausgeschlossen (und nicht nur durch steuerliche Nachteile sanktioniert).

Als dem OGH kurz danach erneut ein Rechtsmittel zur gleichen Frage vorgelegt wurde, lehnte er eine inhaltliche Auseinandersetzung wegen entschiedener Rechtsfrage ab(2). Im Jahr 2012 wurde der OGH aber dann mit einem weiteren Aspekt des Rechtsproblems befasst, nämlich mit der Frage, ob auch ein über den Zeitraum von zehn Jahren hinausgehender Kündigungsverzicht wirksam sein kann. Diesmal entschied der OGH zugunsten der Versicherungsnehmer: Nach zehn Jahren ist eine Kündigung jedenfalls möglich, wenngleich damit steuerliche Nachteile verbunden sind(3).

Das Ergebnis, wonach zwar für zehn Jahre keine vorzeitige Ausstiegsmöglichkeit besteht, danach aber selbst dann, wenn der Versicherungsnehmer unwiderruflich für einen noch längeren Zeitraum auf alle Kündigungsmöglichkeiten verzichtet hat, erscheint „salomonisch“. Allerdings wurde in der Lehre bereits zu Recht darauf hingewiesen, dass die Begründung des OGH nicht überzeugt: Da § 108g EStG einen Kündigungsverzicht für „mindestens“ zehn Jahre vorsieht und diese Bestimmung nach der Argumentation des OGH den Regelungen des VersVG vorgeht, ist nicht schlüssig, dass bei einem Verzicht genau für zehn Jahre etwas anderes gelten soll als bei einem noch längeren Verzicht(4).

Trotz dieser Kritik blieb der OGH bisher zumindest noch in einer zweiten Entscheidung bei seiner Auffassung(5). Es bleibt aber jedenfalls abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung weiter entwickelt.

  1. OGH vom 07.09.2011, 7 Ob 138/11m.
  2. OGH vom 30.11.2011, 7 Ob 224/11h.
  3. OGH vom 09.05.2012, 7 Ob 40/12a.
  4. Vgl. Rabl, Neues zur Kündbarkeit der prämienbegünstigen Zukunftsvorsorge, ecolex 2012, 1052.
  5. OGH vom 14.11.2012, 7 Ob 155/12p.

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