Ein Artikel von Dr. Johannes Hebenstreit, 5020 Salzburg

Seit Jahren gibt es einen juristischen Streit über die Rücktrittsmöglichkeiten von Lebensversicherungen im Falle von falschen Belehrungen über das entsprechende Rücktrittsrecht. Das Problem, um das es hier geht, reicht bis zu einer EuGH-Entscheidung aus dem Jahr 2013 zurück[1]. Der EuGH hatte damals zu einem deutschen Anlassfall sinngemäß entschieden, dass bei einer gar nicht oder nicht gesetzmäßig erfolgten Rücktrittsbelehrung beim Abschluss von Lebensversicherungen den betroffenen KonsumentInnen ein zeitlich unbegrenztes Rücktrittsrecht zusteht. Im Jahr 2015 schloss sich der OGH dieser Rechtsauffassung an[2]: Entspricht die verpflichtend vorgesehene Belehrung über das Rücktrittsrecht nicht genau dem Gesetz, so der OGH, wird die zur Verfügung stehende Rücktrittsfrist nicht ausgelöst. Damit war unter Umständen ein Rücktritt – und eine damit einhergehende Verpflichtung zur Rückabwicklung des Vertrages – auch erst nach Jahrzehnten möglich, was eine große Verunsicherung in der Versicherungsbranche auslöste.

Dies führte zu einer heftigen juristischen Diskussion, die schließlich auch auf politischer Ebene geführt wurde. Letztlich reagierte der Gesetzgeber und änderte das VersVG dahingehend, dass Versicherungsnehmer ab 1. Jänner 2019 selbst bei Falschbelehrung nur mehr beschränkt von Lebensversicherungsverträgen zurücktreten können[3]. Da gleichzeitig mit der Gesetzesänderung auch eine konkrete Musterbelehrung festgelegt wurde, schien das Problem nun zumindest auf den ersten Blick entschärft: Wenn eine vom Gesetzgeber selbst festgelegte Belehrung zur Verfügung steht, werden künftige Falschbelehrungen höchst unwahrscheinlich sein.

Allerdings bleibt für die Versicherungsunternehmen immer noch eine unangenehme Ungewissheit: Erneut hat ein Gericht dem EuGH zwei offene Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Dadurch könnten sich durchaus noch einmal neue Aspekte ergeben. Der EuGH soll einerseits klären, ob es auch eine Falschbelehrung ist, wenn der Hinweis fehlt, dass beim Rücktritt keine bestimmte Formvorschrift einzuhalten ist, und andererseits, ob ein Kunde bei fehlerhafter Belehrung auch dann noch von einer Lebenspolizze zurücktreten kann, wenn er selbst den Vertrag bereits gekündigt oder rückgekauft hat. Es bleibt abzuwarten, ob der EuGH hier neuerlich im Sinne der KonsumentInnen entscheidet.

Dass der EuGH wieder am Zug ist, macht die Sache neuerlich spannend. Denn, wie eingangs ausgeführt, war es der EuGH, der mit einem Urteil zu ähnlichen Fragen die Diskussion erst vom Zaun getreten hatte.

[1] EuGH vom 19.12.2013, C-209/12 („Endress gegen Allianz Lebensversicherungs AG“).
[2] OGH vom 02.09.2015, 7 Ob 107/15h.
[3] Vgl. § 176 VersVG neu. Bei Spätrücktritten, die nach dem 01.01.2019 erfolgen, werden nun je nach dem Zeitpunkt des Rücktritts drei Gruppen unterschieden, die zu unterschiedlichen Rechtsfolgen führen.

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