Ein Artikel von Dr. Johannes Hebenstreit, 5020 Salzburg

Bei der Rechtsschutzversicherung sorgt der Versicherer für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers in den im Vertrag umschriebenen Bereichen und trägt die dem Versicherungsnehmer dabei entstehenden Kosten [1]. Die Hauptleistungspflicht des Versicherers in der Rechtsschutzversicherung besteht also in der Kostentragung.

Ein aufrechter Rechtsschutzversicherungsvertrag ist aber noch keine Deckungsgarantie für jedes vom Versicherungsnehmer gewolltes Gerichtsverfahren. Bei der Frage, ob der Rechtsschutzversicherer deckungspflichtig ist, sind nämlich die Erfolgsaussichten des vom Versicherungsnehmer beabsichtigten Verfahrens maßgeblich, und zwar sowohl was den Grund, als auch was die Höhe der geltend gemachten Ansprüche betrifft [2].

Der OGH ist bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten aber eher großzügig. Er verweist darauf, dass kein strenger Maßstab anzulegen ist. Insbesondere kommt eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung im Rahmen der Deckungsprüfung nicht in Betracht [3]. Nur wenn eine Prozessführung als „offenbar aussichtslos“ [4] zu qualifizieren wäre, darf der Versicherer die Deckung gänzlich ablehnen. Das ist aber nur dann der Fall, wenn schon ohne nähere Prüfung der Angriffs- oder Verteidigungsmittel gleichsam „auf den ersten Blick“ klar ist, dass der Prozess nicht gewonnen werden kann. Eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs schließt hingegen schon eine gänzliche Ablehnung der Deckung durch den Versicherer aus.

Hängt der Ausgang im zu deckenden Prozess bei Fehlen einer klaren Gesetzeslage von bisher nicht gelösten Rechtsfragen ab, so rechtfertigt dies nicht die Annahme, dass keine oder keine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht [5]. Selbst wenn also von Beginn an klar sein sollte, dass das endgültige Ergebnis von einer Entscheidung des Höchstgerichts abhängen wird, zu der es noch keinen Präzedenzfall gibt, darf ein Versicherer die Deckung nicht ablehnen.

Ist sich ein Versicherungsnehmer mit dem Versicherer über die Erfolgsaussichten eines konkreten Rechtsstreits nicht einig, gibt es die Möglichkeit eines Schlichtungsverfahrens. Dieses muss aber nicht zwingend in Anspruch genommen werden. Der Versicherungsnehmer könnte auch eine sog. Deckungsklage gegen den Versicherer einbringen, damit geklärt wird, ob der Versicherer für eine bestimmte Sache Deckung gewähren muss oder nicht.

 

[1] Vgl. § 158j Abs 1 Satz 1 VersVG.
[2] Vgl. Art 9 ARB 2003.
[3] OGH vom 31.08.2016, 7 Ob 140/16p.
[4] Vgl. § 63 ZPO über die Bewilligung der Verfahrenshilfe.
[5] OGH vom 28.09.2016, 7 Ob 161/16a.

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