Ein Artikel von Dr. Johannes Hebenstreit, 5020 Salzburg

Am 18.06.2013 ist Herr B. mit seinem Motorrad der Marke Honda im Freilandgebiet unterwegs. Er will ein Fahrzeug mit einer Fahrgeschwindigkeit von ca. 100 km/h überholen. Als er schon auf der Gegenfahrbahn neben dem Fahrzeug fuhr, schert dieses plötzlich aus, weil es ebenfalls einen PKW überholen will. Es kommt zur Kollision, Herr B. stürzt und verletzt sich schwer. Das Verschulden am Unfall liegt bei dem Lenker des PKW, weil dieser nicht zu einem Überholmanöver hätte ansetzen dürfen, während er selbst gerade überholt wird. Herr B. hat dagegen alle Verkehrsregeln beachtet.

Herr B. trägt allerdings nur ein kurzärmeliges T-Shirt, eine kurze Hose, Arbeitsschuhe und einen Sturzhelm, weil er nur etwa 5 km fahren muss. Als Herr B. Schmerzengeld und Schadenersatz für seine schweren Verletzungen fordert, wendet die Haftpflichtversicherung des Fahrzeuglenkers ein, dass die Verletzungsfolgen viel geringer gewesen wären, wenn Herr B. Schutzkleidung getragen hätte. Herr B. sieht jedoch kein Mitverschulden, weshalb die Sache schließlich vor Gericht landet.

In den ersten beiden Instanzen wird der Mitverschuldenseinwand verworfen, da es – im Gegensatz zur Helmpflicht[1] – für Motorradfahrer keine allgemeine Pflicht zum Tragen von Schutzkleidung gibt. Der OGH sieht es jedoch anders[2]:

Bei der Beurteilung des Falles stützt sich der OGH auf das Ergebnis einer Online-Befragung des Kuratoriums für Verkehrssicherheit: Nach dieser Befragung gibt es in Österreich bereits ein allgemeines Bewusstsein der beteiligten Verkehrskreise, wonach ein einsichtiger und vernünftiger Motorradfahrer wegen der erhöhten Eigengefährdung unter gewissen Voraussetzungen Schutzkleidung trägt, insbesondere dann, wenn er vor Antritt der Fahrt in Kauf nimmt, auch mit hohen Geschwindigkeiten (hier: 100 km/h) zu fahren. Dabei kommt es nicht darauf an, wie weit oder lange der Motorradfahrer unterwegs ist. Auch bei kurzen Überlandfahrten tragen einsichtige und vernünftige Motorradfahrer zumindest dann adäquate Schutzkleidung, wenn sie (zulässigerweise) sehr schnell unterwegs sind. Herrn B. trifft daher ein Mitverschulden von 25 %, weshalb seine Ansprüche um ein Viertel zu kürzen sind. Der OGH bezeichnet dies sperrig als „Motorradschutzbekleidungsmitverschulden“, was ein Kandidat bei der Wahl des nächsten Unwortes sein dürfte.

[1] Vgl. § 106 Abs. 7 KFG.

[2] OGH vom 12.10.2015, 2 Ob 119/15m.

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