Ein Artikel von Dr. Johannes Hebenstreit, 5020 Salzburg

Die österreichische Rechtsordnung geht vom bekannten Grundsatz „pacta sunt servanda“ aus, d.h. dass abgeschlossene Verträge einzuhalten sind. Dieser Grundsatz wird aber durch zahlreiche Ausnahmen in Form von gesetzlichen Rücktrittsrechten durchbrochen. Insbesondere sind mehrere Rücktrittsrechte im Versicherungsrecht vorgesehen. Das VersVG räumt sowohl dem Versicherer (zB bei Erstprämienverzug(1)), als auch dem Versicherungsnehmer (zB bei Nichterhalt einer Vertragskopie(2)) einige Möglichkeiten ein, von einem bereits gültig zustande gekommenen Versicherungsvertrag durch Abgabe einer Rücktrittserklärung wieder Abstand zu nehmen.

Alle diese Rücktrittsrechte sind fristgebunden. Ist der Versicherungsnehmer allerdings Konsument, beginnen die Fristen immer erst dann zu laufen, wenn der Versicherungsnehmer ordnungsgemäß über sein Rücktrittsrecht belehrt wurde. Das kann bedeuten, dass ein Rücktritt auch erst Jahre nach Vertragsabschluss möglich ist, denn ohne eine dem Gesetz ent-sprechende Belehrung beginnt die Frist für das Rücktrittsrecht schlicht nicht zu laufen. Die Frage, was nun eine ordnungsgemäße, fristauslösende Belehrung darstellt und was nicht, wird häufig an die Gerichte herangetragen. Vor kurzem musste sich wieder einmal das Höchstgericht mit einem solchen Fall beschäftigen(3):

Es ging um eine fondsgebundene Lebens- und Rentenversicherung. Für derartige Versicherungen gibt es ein spezielles Rücktrittsrecht binnen 30 Tagen gemäß § 165a VersVG. Bei Vertragsabschluss wurde dem Versicherungsnehmer eine Verbraucherinformation übergeben, in welcher auch eine Belehrung über das Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG enthalten war. Allerdings war diese Belehrung veraltet: Statt der aktuellen Frist von 30 Tagen war in der Belehrung von einer vierzehntägigen Frist die Rede.

Der Versicherungsnehmer trat erst nach sieben Jahren vom Vertrag zurück und argumentierte, dass im Falle einer fehlerhaften Belehrung über die maßgebliche Frist das Rücktrittsrecht unbefristet zustehe. Der Versicherer vertrat hingegen die Auffassung, dass im vorliegenden Fall ja grundsätzlich sehr wohl über die Rücktrittsmöglichkeit aufgeklärt worden sei und der Versicherungsnehmer dadurch, dass er sieben Jahre lang die Prämien bezahlte, schlüssig auf die Geltendmachung seines Rücktrittsrechts verzichtet habe.

Das Erstgericht wies die Klage des Versicherungsnehmers ab und entschied, dass ein bloßer Formalfehler über die Länge der Frist in der Belehrung nicht dazu führen könne, dass das Rücktrittsrecht gänzlich unbefristet ausgeübt werden könne; diese Konsequenz könne sich nur ergeben, wenn überhaupt keine Belehrung erfolgt. Das Berufungsgericht „drehte“ die Sache aber in der Folge und der OGH bestätigte die gegenteilige Auffassung: Jede Unklarheit gehe zu Lasten des Versicherers. Wird ein Versicherungsnehmer auch nur über die Dauer seines Rücktrittsrechts im Unklaren gelassen, beginnt die Frist nicht zu laufen. Der anstatt binnen 30 Tagen erst nach sieben Jahren erklärte Rücktritt war daher rechtswirksam.

  1. Vgl. § 38 VersVG.
  2. Vgl. § 5b VersVG.
  3. 7 Ob 107/15h.

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