Ein Artikel von Dr. Johannes Hebenstreit, 5020 Salzburg

„Erst bremsen, dann den Zettel retten“ – Zur groben Fahrlässigkeit in der Sachversicherung

Fahrlässigkeit ist ein in der Rechtssprache geläufiger Fachausdruck, dem man gerade in Zusammenhang mit Haftungsfragen immer wieder begegnet. Der Begriff bezeichnet die Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt. Neben dem Vorsatz ist die Fahrlässigkeit eine Art von Verschulden. Je nach dem Grad der Sorglosigkeit wird zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit unterschieden.

Diese Unterscheidung ist auch im Versicherungsrecht – insbesondere im Bereich der Sachversicherung – von Bedeutung, denn gemäß § 61 VersVG ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall durch grobe Fahrlässigkeit (oder Vorsatz) selbst herbeiführt. Demgegenüber hat leichte Fahrlässigkeit nicht den Verlust des Versicherungsschutzes zur Folge. Die Abgrenzung von grober und leichter Fahrlässigkeit kann im Einzelnen äußerst schwierig sein. Solche Abgrenzungsfragen landen daher besonders häufig bei Gericht.

Nach der Rechtsprechung liegt grobe Fahrlässigkeit dann vor, wenn sich das Verhalten des Schädigers als „auffallende Sorglosigkeit“(1) vom Alltäglichen abhebt. Es geht also um ein Fehlverhalten, von dem der Handelnde wusste oder wissen musste, dass es mit besonders hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden führen wird. Darüber hinaus können auch einzelne, für sich genommen nicht grob fahrlässige Handlungen in ihrer Gesamtheit und Häufung die Annahme grober Fahrlässigkeit rechtfertigen(2).

Zu zahlreichen Einzelfällen aus verschiedenen Bereichen der Sachversicherung liegen Gerichtsentscheidungen vor. So wurde zum Beispiel zur Feuerversicherung judiziert, dass von grober Fahrlässigkeit auszugehen ist, wenn im Rahmen einer Grillparty unter einem niedrigen Holzdach ein Feuer entzündet und dadurch das Haus in Brand gesteckt wird(3). Auch Rauchen im Bett ist grob fahrlässig, wenn wegen Übermüdung mit der Möglichkeit des Einschlafens gerechnet werden muss(4). Zur Diebstahlversicherung wurde etwa entschieden, dass das Aufbewahren eines Reserveschlüssels im Handschuhfach bei einem (in Ungarn) auf der Straße abgestellten Fahrzeug grobe Fahrlässigkeit darstellt, auch wenn das Fahrzeug ordnungsgemäß versperrt war(5).

Besonders viele Gerichtsentscheidungen gibt es allerdings zur KFZ-Kaskoversicherung. Bei zahlreichen Fällen leuchtet die Annahme grober Fahrlässigkeit sofort ein, etwa bei Alkohol-, Drogen- oder Medikamenteneinfluss, bei fehlender Lenkberechtigung oder bei abgefahrenen Reifen. Andere Fälle sind hingegen weniger eindeutig und einige muten fast kurios an: So ging auch die Frage, ob das Bücken nach einem Zettel zwischen den Beinen auf der Autobahn bei Tempo 110 km/h als auffallende Sorglosigkeit zu werten ist, bis zum Höchstgericht. Dieses attestierte grobe Fahrlässigkeit, zumal nicht erkennbar war, warum ein bereits am Boden liegender Zettel noch bei voller Fahrt aufgehoben werden musste. Damit befindet sich der OGH im Einklang mit der deutschen Rechtsprechung, wo ein ähnlicher Fall die Gerichte beschäftigte: Rutscht eine Kaffeekanne vom Beifahrersitz eines Pkw unter das Bremspedal und versucht der Autofahrer, den Behälter während der Fahrt heraufzuholen, was mit einem Unfall endet, so hat er wegen grober Fahrlässigkeit keinen Anspruch aus seiner Vollkaskoversicherung. Er hätte vielmehr zurückschalten und dann die Handbremse betätigen müssen(6). Um den Versicherungsschutz nicht wegen grober Fahrlässigkeit zu verlieren, gilt daher: erst bremsen, dann bücken.

  1. Vgl. § 1324 ABGB; vgl. auch OGH vom 07.08.2002, 7 Ob 165/02v uva.
  2. OGH vom 28.11.2012, 7 Ob 176/12a uva.
  3. OGH vom 29.04.2002, 7 Ob 74/02m.
  4. OGH vom 06.10.1993, 7 Ob 27/93.
  5. OGH vom 24.11.1998, 7 Ob 41/98z.
  6. Oberlandesgericht Köln, 26 U 49/99.

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